Eltern sein

Das Baby ist da – und nichts mehr ist wie es war

Seit der Geburt sind Sie nun wichtige Beziehungspersonen für Ihr Baby geworden. Sie und ihr Kind lernen sich gegenseitig kennen: beim Füttern, Wickeln, in den Schlaf bringen oder miteinander spielen. Aber wieso fühlt sich dieses Leben so anders an als davor?

 

Ein Leben im Kreis

Das Leben mit Baby fühlt sich nicht nur anders an, weil Sie rund um die Uhr Verantwortung für einen anderen Menschen tragen oder weil Sie erschöpft sind von unterbrochenen Nächten. Es fühlt sich auch so anders an, weil Bezugsperson und Kind nun gemeinsam in einem Kreislauf leben: Wickeln, Füttern, anregen, zur Ruhe bringen und wieder von vorn. Da diese Handlungsabläufe immer wieder notwendig sind, erkennen Sie allmählich, dass das Baby Ihnen etwas über sein Befinden mitteilt, wenn es schreit, strampelt oder sich abwendet. Sie erleben, wie Ihr kleines Kind lernt, den eigenen Körper auszuprobieren, wie sich die Gefühlswelt erweitert, es zielgerichtet seine Bedürfnisse äußert und eigenständiger wird und Sie bemerken, dass Ihr Kind Sie in all diesen Handlungen als Übersetzer:in braucht: Der Mensch am Lebensanfang befindet sich in einem ständigen Wechsel von Anspannung und darauf folgender nötiger Entspannung, eben einem Kreis.

 

In der Entwicklungspsychologie spricht man von Regulation, wenn es um die nötige Entspannung geht, was am Lebensanfang verständige Erwachsene für das Kind übernehmen müssen. Babys und Kleinstkinder können sich noch nicht selbst beruhigen bzw. regulieren. Sie geraten schnell außer sich, z.B. aus Hunger, Müdigkeit, Langeweile oder dem Gefühl des Verlassen Seins. Sie müssen sich ständig rückversichern, nicht allein zu sein und brauchen stets die prompte Antwort eines verstehenden Anderen, der ihre Äußerungen übersetzen kann und die Bedürfnisse stillt.

 

Ein Leben auf der Geraden

Eltern, die wieder schnell in den Beruf einsteigen, spüren unweigerlich, dass sich dieses kreisförmige Leben nicht gut mit dem Pfeil – dem zielgerichteten Arbeitsleben verträgt, was zu innerer Anspannung und großem Druck führen kann, wenn man beispielsweise im Home Office genau dann telefonieren soll, wenn das Kind Stimulation oder Beruhigung einfordert.

Warum aber ist es so wichtig, diesen kindlichen Bedürfnissen zuverlässig nachzukommen? Um es mit einem Bild aus der Arbeitswelt zu formulieren: Von feinfühliger Betreuung am Lebensanfang profitiert ein Mensch sein Leben lang. Zuviel Stress erschwert es, feinfühlig auf ein Kind eingehen zu können. Viele Eltern, die schon ein paar Monate nach der Geburt wieder in ihren Beruf zurückkehren, spüren die Dissonanz der zielgerichteten Arbeitswelt mit ihrer kreisförmigen Welt zu Hause. Gerade haben sie verstanden, die Signale ihres Babys richtig zu deuten. Wenn die erste Zeit positiv verlaufen ist, können Eltern die Bedürfnisse ihres Kindes besser verstehen als jede:r Außenstehend:e. Sie können die Signale ihres Kindes lesen.

Eltern sind dann nicht nur Eltern, weil sie nun eben ein Kind haben, sondern sie haben Elternkompetenzen erworben. Dieser Schritt wird als selbstverständlich betrachtet, ist aber eine enorme Anpassungsleistung und auch eine große Chance für die Persönlichkeitsentwicklung der Eltern.

Den Erwerb von Elternkompetenzen betrachten wir als geschlechtsunabhängig. Auch wenn Mütter hormonell stärker auf ihr Kind eingestellt sind und dessen Signale auch schnell körperlich spüren, können alle Menschen, die sich voll auf das Baby einlassen, diese Kompetenzen erwerben.

Als Eltern geht es zu Beginn um die Annahme eines neuen Lebensrhythmus, den wir aus der uns bekannten Arbeitswelt nicht kennen: Es bedarf am Anfang des Lebens keines „Ziels“ – der Weg ist das Ziel.